“Il Meandro” (Der Mäander): Geschichtliche, landschaftliche und geotechnische Aspekte der Strassenbaukunst der Gardesana Occidentale in Vergangenheit und Gegenwart.
von Milena Rodella
“Il Meandro”: Diesen Namen hatte der Dichter Gabriele d’Annunzio der Gardaseestraße zwischen Gargnano und Riva gegeben, passend zur „mäandernden“ Streckenführung der Strasse an den Steilküsten und Felswänden, die hier das westliche Gardaseeufer charakterisieren.
Professor Fulvio Zezza, Vorsitzender der Abteilung Umwelt und Geologie der Architekturfakultät an der Universität Venedig (IUAV) erklärt, dass sich der Planer, Ing. Riccardo Cozzaglio, bei seinem Projekt von seiner kulturellen Bildung und seiner grossen ökologischen und ökonomischen Sensibilität leiten liess. Ing. Cozzaglio versuchte, mit der neuen Infrastruktur die Einzigartigkeit der Westküste zu erhalten, indem er die technischen Probleme in engen Zusammenhang mit den landschaftlichen Gegebenheiten betrachtete und auf eine harmonische Lösung aller Faktoren bedacht war (Zezza, 2009, 48). “Ich betrachtete jedes Problem zunächst unter dem rein technischen Aspekt, um die sich mir stellenden Probleme zu meistern, doch befügelte dies gleichzeitig meine Inspiration und meine professionellen Ansprüche (19).“
Das Strassenprojekt sollte sich harmonisch in die Fels- und Wasserlandschaft einfügen, deren landschaftlichen und geologischen Charakter nicht zerstören, sondern im Gegenteil hervorheben, schützen und sich allgemein zu einem Verbindungsglied zwischen Poebene und südlichem Alpenrand entwickeln (20). Die nötige technisch-formale Anpassung der Ingenieursarbeit an das Gelände ging Hand in Hand mit dem Willen, eine einmalige Panoramastraße zu kreieren: Malerische Blickwinkel und gigantische Landschaften eröffnen sich an den in die Kalkschichten gemeißelten Tunnelausgängen, während kunstvoll gemauerte Brücken wunderschöne kleine Täler und Einschnitte aus verschiedenartigsten Gesteinsschichten miteinander verbanden.
Zur Vollendung der spektakulären Fels- und Wasserlandschaft wurde zwischen 1932 und 1936 ein Wiederaufforstungsprojekt der Gardaseeküste unter der Leitung von Ing. Giulio Angelini verwirklicht: Über 250.000 Bäume wurden gepflanzt, meist Zypressen auf die Seeseite und Schwarzkiefern auf den bergseitigen Hängen.
Die Bepflanzung diente nicht nur der Ästhetik, sondern auch der Befestigung der Hänge und der Regulierung des Oberflächenwassers. Die gesamte Umgebung hat mit dem wunderbaren Pflanzenbestand eine enorme Wertsteigerung erfahren (83).
Laut Informationen eines Zeitzeugen, der diese von Herrn Cozzaglio in der Einweihungsphase bekam, gab es beim bau der Strasse beträchtliche Schwierigkeiten: ‘Die Strecke (nach Gargnano) vom Valle della Torre bis zum Hafen von Tignale war am schwierigsten… In diesem Abschnitt erhebt sich die Straße auf ihre Maximalhöhe von 120 Metern über dem See und verläuft fast komplett im Fels, meist im Tunnel. Der Fels besteht unterhalb von Muslone im ersten Bereich aus dünnen Schichten und erforderte bei der Erbauung der Tunnel besondere, polyzentrisch erhöhte spitzbögige Stahlgewölbe’ (G.Silvestri, ‘La nuova strada sul Garda’, Natura, Nr. 9, 1931 bei Zezza: 46)
Besonders die Geologie erwies sich als ein Hindernis, das es wegen der komplizierten tektonischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Gesteinsarten bzw. der verschiedenen Bedingungen aufgrund der Schichtung und der Rissbildung der Felsbänke zu überwinden galt. Die Hänge sind überdies noch mit losem Gestein aus ehemaligen Gletschern und Flussläufen bedeckt. Diese Schotterhaufen, manchmal auch in der Form von Muren, erschwerten die Arbeit zusätzlich (48).
Die Faszination der Straße mit ihren harmonischen und dramatischen Elementen ist heutzutage aufgrund der Interventionen, die seit den Sechziger Jahren die Streckenführung aufgrund alleiniger technisch funktioneller Vorgaben verändert haben, in Frage gestellt: Die Modernisierungsarbeiten wurden als Einzelmaßnahmen ohne eine Gesamtvision durchgeführt. Vor allem durch die vielen neuen Tunnel ist die „Straße der Wunder“ in weiten Teilen im Berg verschwunden und in Gefahr, ihren einzigartigen Charakter zu verlieren.
Zur Vertiefung der morphologischen und geologischen Aspekte und des historischen und landschaftlichen Werts des „Meandro“ empfiehlt es sich, das Buch „La strada Gardesana Occidentale. Zwischen Planung Anfang des 20. Jahrhunderts und Umwandlungen an seinem Ende“ (Arco, Grafica 5a Edizione, 2005) zu lesen.